Wie ist das so, wenn die Berge unter meinem Schuh nicht natürlichen Ursprungs sind? Sondern aufgeschichtet, in mühseliger Kleinstarbeit, bestehend aus Abraum aus dem Bergbau? Was wächst denn da? Und, wächst da überhaupt etwas?
Ich war unterwegs zum Halden-Hügel-Hopping, wie das Wandern auf den Halden des Ruhrgebiets liebevoll genannt wird, und habe auf meiner 12,5km Runde immerhin 220 Höhenmeter bei 5 Halden zusammen bekommen.
Ab in die ‚Braucker Alpen‘ in Gladbeck
Ja gut, in diesem Fall von Alpen zu sprechen, zeugt vom typischen Ruhri-Humor. Die höchste Hügelei auf der Runde ist die Mottbruchhalde mit ihren immerhin 117m über NN. Und da man im Stadtteil Brauck loswandert, sich Halde um Halde hoch- und runterschraubt und gefühlt viel im Kreis läuft, gibt’s dadurch einen humoristischen Hauch alpinen Flairs. Im Winter kann man hier sogar Ski fahren, also, fast wie in den Alpen.
Unsere Wanderung beginnt am Fuße der Halde 19 – romantisch, oder? Unsere Halden haben nicht immer Namen, manche tragen auch nur einfach Nummern. Wir also, Treppe hoch, einmal im Halbkreis rum und schon standen wir auf unserer ersten Halde (68m über NN), das obligatorische Gipfelfoto war natürlich schnell gemacht – statt eines Gipfelkreuzes gibt es hier eine alte Seilscheibe, die sich hervorragend in Szene setzen lässt.
4 peaks to go: wir schlendern wieder herunter und erklimmen die kleinste der fünf Halden, Halde Mathias Stinnes, oder auch ‚Kippe 7‘ genannt. Ihr merkt schon, der Bergbau ist hier noch voll präsent und das voll absichtlich. Ich mein, wir generieren aus Abraumhalden Naherholungsgebiete, da kann man schnell den eigentlichen Grund dieser Erhebungen vergessen. Ich finde es wichtig, dass die Geschichte auch durch entsprechende Namensgebungen erhalten bleibt.
Auf der Kippe verweilen wir nicht lange, denn wir stören ein Liebespaar mit kleinem Kläffhund. Das schnelle Gipfelfoto verdeutlicht die Morphose von Natur und Industrie: wir blicken aus dem satten Grün von Laubbäumen auf ein Müllheizkraftwerk, dessen Türme herausfordernd in den Himmel ragen. Mehr Natur-Ruhrpott geht nicht.
Halde 22 – mein liebster Abraumberg beim Halden-Hügel-Hopping
Im Sauseschritt geht’s weiter, wir laufen einen großen Teil des Weges zurück, den wir bereits gekommen sind, denn die nächste Halde liegt halt auf der anderen Seite der Straße: Halde 22, ein kleiner Abraumberg mit 76m Höhe, der oft wegen seines Ausblicks auf den Star der Halden, die Mottbruchhalde, erwähnt wird. Und ja, man hat einen herrlichen Ausblick auf ebendiese, aber das ist nicht der Grund, warum sie für mich das eigentliche Highlight war.
Ein paar Downhillstrecken später standen wir wieder zwischen den Halden, wie so oft heute, und folgten dem breiten Weg, bis ans Tor der Mottbruchhalde. Das klingt jetzt nicht so idyllisch und naturnah, richtig? Lasst mich etwas ausholen, um euch den Reiz dieser Halde zu erklären. Die Mottbruchhalde ist die erste, bei der im künstlerischen Wettbewerb auch allein schon die Form des Abraumberges in der Ausschreibung stand. Sie wurde also wie ein Vulkankrater gestaltet, zwei Flanken ziehen sich auf ihrem Gipfel recht steil auf 117m über NN in die Höhe, in der Mitte findet sich ein kleiner Kratersee. Es gab Ideen, diesen Krater mit Wasserfontänen, roten Lichtern – lavagleich – oder sonstigem zu versehen. Seit 2021 steht dort oben ein Windrad, das bricht die Vulkanidylle etwas, macht die Halde in ihrer körnigen, dunklen Art nochmal imposanter. Wer von euch stand schon einmal unter einem Windrad? Von Weitem sehen sie definitiv nicht so hoch aus.
Auf der Halde Mottbruch sind auch nicht alle Wege freigegeben und da es sich um eine recht neue Halde handelt, kann der Krater auch ein ums andere Mal gesperrt sein.
Wir hatten aber Glück und konnten als einzige Homo sapiens an diesem regnerischen Abend dem Himmel von hier oben zuschauen, wie er Nuance um Nuance dunkler wurde.
The last and least one: Halde im Brauck (59m)
Okay, ich glaub, dass es auch der vorangeschrittenen Uhrzeit geschuldet war und dass Nieselregen einsetzte, aber ich fragte mich ernsthaft, ob wir noch die letzte Halde mitnehmen sollten. Es wurde langsam etwas duster, der Regen etwas fester und der Rückweg immer länger. Aber Runde ist Runde und so nahmen wir die letzte Halde durch die Braucker Alpen ins Visier. Ich mach’s kurz, der Regen ließ nach, die Halde ist ohne große Aussicht und schnell erklommen. Da Tine und ich bislang aber noch keine Pause bei unserer ‚Alpendurchquerung‘ gemacht hatten, setzten wir uns kurzerhand an einer Weggabelung auf den Boden, mit dem Rücken auf den Rucksack und genossen es, unseren Füßen etwas Erholung zu bieten. Und erst, als ein Kerl mit E-Scooter an uns vorbei holperte (ich hätte nicht gedacht, dass die Dinger einen Haldenaftsieg packen), packten wir langsam zusammen und schlenderten die Halde Brauck wieder hinunter. Der weitere Rückweg erwies sich als halbwegs unspektakulär, da wir uns auf asphaltierten Radwegen wiederfanden – jetzt hätte ich den E-Scooter sehr gern gehabt.
Wir bewunderten noch die Mündung des Hahnenbachs in die Boye, lernten, dass ein Tropfen aus ersterem etwa 3-4 Tage braucht, um in die Nordsee zu gelangen, verfluchten die Mückenschwärme, die sich freudig auf uns stürzten und flanierten müde und zufrieden zurück zu unserem Startpunkt.
Ich weiß ja, dass ich eigentlich ein Fan von sehr naturnahen Wegen und Touren bin und alles meide, was als ‚urban‘ angepriesen wird, doch die Braucker Alpen haben mich mit ihrem ganz eigenen Charme erwischt. Es ist ein Wandererlebnis durch die Zeit des Ruhrgebiets – mit dezenten Hinweisen wird an die Historie dieser Region erinnert. Wenn man sich traut, neugierig zu sein, kann man eine Menge lernen und gleichzeitig die Natur so nah am Herzen des Ruhrpotts genießen. Noch mehr Halden-Hügel-Hopping gibt’s auf der Seite von regiofreizeit.de
Man nennt sich auch die „Alpen des Ruhrgebiets“… :) Ich musste beim Lesen teilweise sehr schmunzeln. Aber ich mag die „Berge“ meiner Heimat und bin dort auch ab und zu unterwegs. Ein künstliches Gebirge haben halt nur wir! :)
Juhu, du hast geschmunzelt. Das, was ich immer erreichen möchte – daher freut es mich umso mehr, dass Du es auch hier aufm Blog verweigt hast. Und japp, absolut richtig. Wer hat bitteschön sonst n künstliches ‚Gebirge‘? ;)
Liebe Grüße
Corinna