Und da war der Einstieg zum Klettersteig Zirbenwald in Obergurgl. Schon von Weitem sehe ich die Nepalbrücke, wie sie hoch über der Gurgler Ache hängt und mir neue Abenteuer ins Ohr flüstert. „Komm auf diesen Klettersteig, geh raus aus deiner Komfortzone“. Und hömma, sowas zieht mich ja schon magisch an, zumal auf diesem Klettersteig meine erste C/D-Stelle zu bewältigen sein würde.
Bei diesen Seilbrücken muss ich mich immer gut konzentrieren. Angst habe ich keine, doch jeder Schritt will gut gesetzt sein, vor allem, wenn es so tief runtergeht und es definitiv ungemütlich würde, wenn ich abrutschen und im Gurt hängen würde. Also einfach konzentriert laufen, von einer Planke zur nächsten, die Karabiner schön verankert am Handlauf. Ich hasse den mittleren Teil solcher Brücken, dort ist es naturgemäß am wackeligsten, am luftigsten.
Aber wow, schaut euch nur das Wasser an, wie klar, wie blau, wie gewaltig und direkt aus dem Gurgler Ferner im hinteren Talende. An einigen Stellen sehe ich noch eine dicke Eisschicht, es ist noch Bergfrühling an diesem Pfingsten anno 2018, hier oben auf knapp 2.000m kommen gerade die ersten zarten Krokusse. Ich bin froh, dass der Steig soweit schon frei ist, denn laut Topo macht er eine Menge Spaß und hält einige Herausforderungen für mich bereit.
Unten Gletscherwasser, oben bröckeliger Fels
Und so klettere und wandere ich mich durch die ersten A- und B-Stellen. Direkt oberhalb der gletscherblauen Ache mit ihren wilden weißen Schaumkronen und den ersten Frühlingsboten ist es ein ganz besonders kontrastreiches Naturschauspiel – und wir mittendrin. Für genau solche Momente bin ich dann tief dankbar. Es war alles sehr perfekt.
Weiter geht‘s im Klettersteig, der Fels ist an manchen Stellen nicht so geschmeidig, wie ich ihn etwa von den Gardaseebergen kenne, z.B. beim Via Ferrata Rio Sallagoni, sondern eher bröckelig, was mich an manchen Stellen etwas unsicher macht. Ich sehe aber, welche Griffe und Tritte schon oft benutzt wurden und weiß, dass sie dann auch bei mir halten werden. Dann kommt die erste B/C-Stelle und auch hier sehe ich, wie wohl die allermeisten vor mir die Stelle bezwungen haben: indem sie auf den abgesägten dürren Baumstamm gestiegen sind, der direkt am Aaaaabgrund steht.
Haha, echt jetzt? Den Baum will ich nicht als Steighilfe nutzen – der gehört doch gar nicht zum Klettersteig. Nico zieht sich flugs am Fels hoch und ist wie ein Äffchen um die nächste Ecke verschwunden. Super. Ich suche gefühlt ewig nach einem Zwergeneinstieg, den auch ich meistern kann und ziehe mich dann doch über den Baumstamm hoch… grmpf. Das gibt‘s doch nicht, dass ich wirklich SO nur hochgekommen bin. Meine Ausrede ist, dass ich meinen Kerl nicht wollte warten lassen. Jaja, belassen wir es dabei.
Die weiteren Passagen leiten mich oberhalb der Gurgler Ache entlang. Je weiter ich ins Tal hineinklettere, desto weiter öffnet sich mir diese kleine unerwartete Wildnis direkt hinter der Tourihochburg Sölden. Ich kann mein Glück kaum fassen, denn so ein ursprüngliches Hochtal hätte ich hier in der Gegend überhaupt nicht erwartet. Der Schnee glitzert gemütlich in der Sonne, die mein Gesicht herrlich erwärmt. Bestimmt sind es nur ca. 14 Grad hier oben, aber mit Sonne und dem aufgewärmten Fels ist es für mich die perfekte Temperatur.
Und dann stehe ich vor den beiden Seilbrücken. Sie sind nicht besonders hoch, nur der Abgang nach unten wäre geröllig-schmerzhaft. Die erste der beiden ist kürzer, daher leichter eingestuft. Ich komme psychisch mit beiden klar, bin aber ehrlich gesagt kein großer Fan dieser Traversen – ist mir zu viel Luft und zu wenig Fels an meinen Händen und Füßen. Und mega nervig finde ich das Umhaken auf den Brücken – ich bin doch keine Hochseilballerina. Na ja, zumindest schult es enorm den Gleichgewichtssinn, dann mal los.
Die C/D-Schlüsselstelle – und meine Muskeln machen zu
Direkt nach den Seilbrücken folgt ein geschmeidiger Aufstieg auf einer Rampe. Hier habe ich Zeit, ein paar Fotos zu schießen und nach Murmeltieren Ausschau zu halten. Man soll hier quasi mit Murmler-Garantie klettern können. Da ich kein einziges Fellknäuel gesehen hab, gehe ich davon aus, dass es einfach noch zu früh im Jahr ist und die Tierchen schlau genug sind, erst rauszukommen, wenn es wirklich auch hier oben Frühling wird.
Ja, und dann stehe ich vor der Schlüsselstelle der Route. In der Topo von bergsteigen.com ist die Stelle als C/D ausgewiesen, auf dem Schild am Einstieg des Klettersteig als C. Was denn nun? Ich wollte doch schauen, ob ich auch eine C/D-Stelle hinkriege.
„Sehr steil!“ heißt es in der Topo – ich schaue hoch und denke mir, dass das stimmt. Und ein ganz klein bisschen Überhang. Also, kein Überhang, aber irgendwie etwas mehr als senkrecht. Viele Trittbügel sehe ich aber auch, also machbar, oder? Ich gehe vor Nico, ich muss die Stelle jetzt einfach klettern, sonst mache ich mir nur Gedanken.
Und was soll ich sagen? Diese kurze Passage hat mich echt ‚am Arsch gekriegt‘ oder hab ich mich nur in einer maximal doofen Position umgehakt und dadurch viel Kraft verloren oder steckte mir einfach der Lehner Wasserfall Klettersteig vom Vormittag noch so in den Muskeln? Ich merke, wie meine Muskeln zu machen, hart werden, sich verkrampfen. Leck. Was soll das denn? Meine Bockigkeit siegt wie immer, ich überstehe diese eine Schlüsselstelle und mache japsend Nico Platz.
Okay, für mich war‘s auf jeden Fall eine C/D-Stelle und keine C-Stelle. Es ging einfach in die Arme, da hab ich noch immer zu wenig Kraft. Grmbl. Deswegen muss ich erstmal auf mehr Kraft in den Armen trainieren, um so eine Stelle mit mehr Souveränität meistern zu können. Aber hey, die schwierigste Stelle ist geschafft! Und auf den Fotos sieht sie noch nichtmal so spektakulär aus.
Meiner Meinung nach ist der Steig also nichts für Anfänger, wie er oft beschrieben wird, denn nicht nur die C/D-Passage, sondern auch manche B/C-Stellen sind nicht ohne. Und es braucht halt einiges an Armkraft. Hust. Das weiß ich jetzt. Geil war’s trotzdem!
Abstieg mit Umwegen – wenn der Winter die Brücke weggerissen hat
Bald schon stehen wir am Ausstieg, die letzten Felsenmeter haben mir wieder unglaublich viel Spaß gemacht. Wir haben etwas an Höhe gewonnen und fläzen uns hinterm Ende des Klettersteigs erstmal breit und bräsig in die Sonne – dort, wo das Gras schon den Schnee abgelöst hat und es nicht allzu matschig ist. Ich genieße die wundervolle Aussicht ins Tal und Richtung Gurgler Ferner, nur wenn ich meinen Kopf drehe, sehe ich auch die Ausläufer des Skigebiets Sölden. Ich bin wirklich positiv überrascht, hier hinten im Tal ein so fast unberührtes Fleckchen Erde zu finden.
Nach dieser wohlverdienten Pause machen wir uns also auf den Rückweg. Zwei Rückwege kommen in Frage – einmal rechts herum direkt nach Obergurgl oder links herum, sodass wir auf dem Rückweg von der anderen Flusseite nochmal den kompletten Steig anschauen können. ‚Türlich will ich mir das nochmal anschauen. Tja, schade nur, dass das für uns dann einen Umweg bedeutet hat: Die Brücke wurde in dem Winter wohl von einer Schnee-Fels-Wasser-Gewalt völlig verdreht und quasi unpassierbar gemacht. Ups. Wir drehten also um, liefen wieder zum Ausstieg des Steigs zurück und nahmen von dort dann den Wanderweg bis Obergurgl. Dadurch gibt es leider keine Fotos von der anderen Flusseite, dafür hatten wir aber einen entspannten Klettersteig-Abschluss und fuhren bald wieder durch verlassene Sölden zu unserer Urlaubs-Homebase.
Zwei Klettersteige an einem Tag, das war mal wirklich ein sowas von perfekter Tag!
Sehr sympathische und ehrliche Darstellung Eurer Klettersteigtour. Danke Dir auch für Deine Auskünfte am Telefon. Wir werden Euch berichten und schreiben wie bereits angekündigt eine Karte. Beste Grüße in die Nachbarschaft, Nicole und Ansgar
Sehr gern geschehen, Ansgar. Auch wenn ich erst irritiert war am Telefon – so ein Anruf passiert nicht alle Tage. Umso mehr freut es mich, wenn ich helfen konnte. Und ja, voll gern, lass von euch hören!
Lieben Gruß
Corinna