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WTF: Digital Detox? Keine 10 besten Tipps

Ernsthaft? Ist das jetzt endgültig in Deutschland angekommen und erobert still und leise unseren Winter? Digitale Entgiftung eingebettet ins Rampenlicht vieler Ratgeber und Bullshit-Erfahrungsberichte?
Das erste Mal habe ich dieses Wort Mitte des Jahres in einer Zeitschrift aufgeschnappt, die für Abenteuer, Outdoor und Männlichkeit steht. Auf dem Cover ein gutaussehender Typ mit kuscheligem Wollpulli und einem Blick, der dem Leser sagt: „Cowboy, Du musst jetzt durch diese Wildnis.“
Ich gebe zu, mich spricht diese Bildsprache enorm an, auch wenn ich nicht die Kernzielgruppe dieser Zeitschrift bin.

Und dann die Themen der Ausgabe in auffälligem Weiß um den wilden Schönen herum platziert: Das beste Outdoor-Messer, die spannendsten Hide Aways und… Digital Detox. Bäm.
Der Sexappeal des Covermodels sank für mich in diesem Moment schlagartig bis an den tiefen Grund des Gardasees und hatte eine charmante Wasserleichenfarbe.

Echt jetzt?

Digital Detox? Was soll das überhaupt genau sein? Nase ins Heftchen gesteckt und festgestellt, dass mal wieder ein ödes Phänomen es geschafft hat, einen fancy Namen zu erhaschen. Digital Detox. Beim Aussprechen komme ich regelmäßig ins Stottern und dann Schluckauf.
Natürlich ist es ein englisches Buzzword. Sonst wäre es auch nicht fancy.

Klingt ja besser als „Ich lass mein Handy zu Hause“.

Aber nein, werden Befürworter jetzt sagen, es geht um mehr, als nur das Tamagotchi des neuen Jahrtausends zu Hause sich selbst zu überlassen. Es geht ums digitale Heilfasten, ums Abschalten, ums neu Erleben.

Bei meinen Recherchen zu diesem Thema bin ich auf einen ganzen Marketing-Zweig gestoßen und so, wie ich bereits beim Buzzword ‚Digital Detox‘ Schluckauf bekomme, so verhält es sich auch, wenn ich mich weiter mit dem Thema auseinandersetze und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Allein Google.de führt fast eine halbe Millionen Einträge zu diesem Begriff. WTF!

Es gibt Urlaubsreisen, die sich speziell mit dem Thema der digitalen Entgiftung auseinandersetzen. ‚Handyfreie Zone‘ und einen Safe fürs Smartphone inklusive. Aha. Im ICE gibt’s auch eine Ruhezone – die ist günstiger als so ein ‚Urlaub‘.

Blogs berichten in langen und ausführlichen Erfahrungsberichten speziell zum Handy-Verzicht, wie sie es empfunden haben und welche Hürden ihnen in der Zeit in den Weg gelegt wurden – alles nur, um es danach digital wieder in die Welt zu erbrechen. Was für ein schlechter Witz.

Aber irgendwie scheint es ja einen Ruf aus dem Großstadtdschungel heraus zu geben, der viele (digitale) Anhänger findet. Was ist da los?

Das Magazin t3n berichtete recht ausführlich über das Phänomen und packt das Thema beim Schopfe: ständige Erreichbarkeit im Job. Laut einer Studie von Bitkom finden 71% der Arbeitgeber, dass ihre Mitarbeiter außerhalb der regulären Arbeitszeiten erreichbar sein sollten. Uff. Das ist eine Aussage, aber ich drehe den Spieß um und sage: Als Arbeitnehmer muss man nicht immer erreichbar sein und man hat es in den meisten Fällen selbst in der Hand, direkt zu reagieren oder nicht. Die meisten von uns arbeiten nicht am offenen Herzen. Die Welt geht nicht unter, wenn etwas liegen bleibt.

Der Jobaspekt sei hier nur kurz umrissen, denn deutlich spannender und lächerlicher finde ich die Ausweitung des Themas auf die private Ebene. Ja, ich liebe mein Smartphone und ja, gerade ich als Outdoor-Blogger spamme ständig mit irgendwas eure Pinnwände zu und bezwitscher euch bereits im Morgengrauen auf Twitter.

ABER ich mache das gerne und freiwillig und fühle mich nicht gezwungen, genötigt oder gestresst deswegen. Es ist meine freie Entscheidung und wenn ich keinen Bock habe, dann lasse ich es eben.

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Hippiecamps ‚Digital Detox‘

In Amerika gibt es ein sehr erfolgreiches Modell eines solchen Digital Detox-Camps, bei dem man für schlappe 645$ vier Tage lang in Zelten schlafen, paddeln, klettern, malen gehen kann. Das ‚Camp Grounded – Summer Camp for Adults‘ verspricht den Teilnehmern Ruhe, Abschalten und digitale Enthaltsamkeit.

Ooooookay…

Wisst ihr, am meisten nervt mich an diesem Hype, dass er von Geschäftsleuten ausgeschlachtet wird und es sich genügend Leute finden, die bereit sind, ihre Moneten dort zu lassen.

An zweiter Stelle nervt mich, dass die Leute, die sich dieser ‚Kur‘ unterziehen, vorher lang darüber berichten müssen (vornehmlich in den social networks) und danach ihren sinneserweiternden Bericht in die Welt hinausschreien, die es nicht interessiert. Es geht doch wieder nur um Selbstdarstellung. Der Klassiker.

Und drittens nervt es mich enorm, dass Abenteuer, Natur und ‚für sich sein‘ als etwas Exklusives gehandelt wird. Mir würde das Thema nicht so in den Fingern jucken, wenn man nicht die ganze Zeit mit Bildern von wilden Schluchten und hohen Bergen bei dieser ‚Entgiftung‘ geködert würde. Aber das verstehe ich nicht. Warum benötigt es ein neues Buzzword, um nach draußen zu gehen?

Geh doch einfach und nöl nicht rum!

Warum lange darüber lamentieren, wie ‚gut‘ und ‚entspannend‘ es doch wäre, ohne Digitalkram wandern zu gehen. Tut es einfach, wenn es euch gut gut!

Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich es liebe, zu fotografieren und mich die Suche nach dem richtigen Lichtmoment und dem passenden Winkel völlig entspannt, bevor ich dann kurz den Atem anhalte und auf den magischen Auslöser drücke. Luft raus, Spannung raus. Ist wie beim Yoga, nur digital.

Klar, hat man nicht immer Zeit, sich auf den Weg zum großen Abenteuer zu machen. Aber sucht euch die kleinen Auszeiten, die, die immer machbar sind. Manchmal bedeutet es dann aber auch, aus seiner Komfortzone auszubrechen, nicht nur zu couchen oder an einem freien Tag doch früh aufzustehen.
Aber belohnt wird man dann für eine Zeit, die nur einem selbst gehört, in der das Licht nur für einen allein tanzt und wo die Welt um einen herum scheißegal ist. Mit oder ohne Smartphone in der Tasche. Das machen wir Outdoorler doch auch immer und können einfach genießen, oder?

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Sei nicht Dein eigener digitaler Henker!

11 Kommentare zu “WTF: Digital Detox? Keine 10 besten Tipps

  1. Großartiger Bericht.
    Ich lasse oft mein Handy zu Hause oder auch einfach in einer Ecke liegen und schaue vielleicht erst am Abend wieder drauf.
    Oder wenn ich an Bord von Schiffen arbeite und auf 7 Seetagen kein Netz habe – dann ist mir das auch Wurst. Da brauche ich dann kein teures „An-Bord-Netz“.
    Aber dass es Menschen in der heutigen Gesellschaft gibt, die sich regelrecht dazu zwingen müssen ihr Handy mal nicht alle 3min anzuschauen und daraus ein neuer „Hype“ wird ist schon traurig.

    LG Mel

    1. Danke Dir, Mel!
      Ich finde, so wie Du es machst mit dem Handy genau richtig. Wenn es Dir passt, dann schaust Du drauf und wenn nicht, dann nicht. Wow- an Bord von Schiffen ist man bestimmt auch mit ganz anderem beschäftigt, als ständig seine Nachrichten zu checken :)

      Ich finde es auch einfach krass, wie ‚verdreht‘ die Welt wird, wenn aus Banalitäten Hypes entstehen und das hat mich einfach genervt. Und da schein ich ja nicht die einzige zu sein :)

      Liebe Grüße,
      Corinna

  2. Hey Corinna,

    teils hast du Recht, teils muss ich dir jetzt mal widersprechen.

    Natürlich nervt es, wenn ein Buzzword so ausgeschlachtet wird und natürlich nervt es auch, wenn die Leute ihren Detox groß ankündigen, zelebrieren und danach darüber berichten.
    Letztendlich geht es doch aber auch in den Ratgebern, Blogartikeln usw. auch darum, anderen davon zu berichten, dass es mal sinnvoll sein kann. Ist doch auch nichts anderes als ein Tourenbericht, in dem wir auf unseren Blogs auf eine schöne Tour aufmerksam machen wollen…

    Mir z. B. fällt es immer häufiger auf, dass Menschen in meinem Umfeld kaum vom Handy lassen können und ganz ehrlich… das nervt! Wenn du dich mit jemandem unterhältst, der ständig zwischendurch auf’s Handy schielt um ja nichts zu verpassen… wenn du Auto fährst und dein Beifahrer lieber Dinge im Netz recherchiert, anstatt mit dem Fahrer zu quatschen… da komm‘ ich mir vor, als wäre ich ein Taxifahrer.
    Genau diesen Leuten würde ich einen Digital Detox gerne mal empfehlen bzw. tue es auch, wenn ich mir allzu blöd vorkomme. Na zumindest einen Detox für die Zeit, in der wir gemeinsam am Tisch oder im Auto sitzen… ;)
    Meine Freundin und ich halten es aktuell z. B. ebenfalls so, dass wir beim Essen- oder Spazierengehen die Smartphones gerne mal daheim lassen.
    Unsere erhaltenen Nachrichten können wir auch später noch beantworten und die Newsticker sind auch ne Stunde später noch verfügbar.
    Allerdings muss ich zugeben, dass ich da auch aktiv dran denken muss, denn schließlich ist es schon fast ein Automatismus. Bevor man die Tür schließt, checkt man kurz die Hosentaschen: Handy, Schlüssel, Geldbeutel, alles da…

    Also, warum nicht einfach mal einen Digital Detox im Kleinen ausprobieren? Handy daheim lassen, wenn man nur kurz weg ist, mal kein WhatsApp checken, wenn man sich unterhält, …
    Sollte kein Problem sein, ist es aber für manche und genau da finde ich die Idee eines digitalen Verzichts gar nicht so schlecht.
    Man muss ja nicht gleich das Zelt-Abenteuer für knapp 650USD buchen…

    Viele Grüße
    Dennis

    1. Hey Dennis,

      ich gebe Dir in allen Punkten recht, die Du aufschreibst. Denke, dass Du mir also gar nicht widersprichst, sondern nur einen weiteren Aspekt ins Auge gefasst hast.
      Mich nervt es auch, wenn Leute ständig auf ihrem Handy rumfummeln. Ich mach das manchmal auch – bis es mich selber nervt.^^

      Und genau das ist der Punkt: Wir merken, wann es too much ist und reagieren dann entsprechend. Ich find’s einfach heftig, dass es um dieses ‚Phänomen‘ so einen hohen Wellenschlag gibt. Einmal nachdenken ist da meist ausreichend.

      Zum Glück habe ich in meiner direkten Umgebung nicht wirklich viele, die so sehr am Smartphone kleben, da gehöre ich schon zu den aktivsten. Oft wird ja auch gesagt, dass die Kommunikation in den Öffis abgenommen hat, seit alle nur auf ihren handys rumdaddeln. Aber was ist denn, wenn jemand ein Buch liest? Dann ist er genauso weggetreten von der Umwelt. Allerdings sind so Situationen, wie Du sie beschreibst (im Auto) super unhöflich! Dem sollten die Ohren langgezogen werden!
      Man sollte einfach nix direkt verteufeln oder ‚verhypen‘, auch wenn es mehr Spaß macht und ne ‚gute‘ Presse ist.

      Mein Appell geht genau in Deine Richtung: Einfach mal fünfe gerade sein lassen und das Ding weglassen. Mir juckt einfach die Faust, wenn es dann ein neues Buzzword gibt :D Man sollte doch meinen, man könne auch einfach so rausgehen, Abenteuer erleben und seine Ruhe haben.

      Lieben Gruß,
      Corinna

  3. Moin!

    Ich hab diese Diskussion ständig verfolgen müssen, als ich es gewagt habe, in einem Jakobsweg-Forum zu schreiben, dass ich während meiner Reise auf dem Weg Blog führen will. Und Fotos machen will. Und diese online stellen will. Himmel, was wurde ich angezickt. Das sei kein Pilgern. Das sei kein Genießen. Meine Fresse (sorry): Ich WILL für meine Family erreichbar sein. Und ich hab Spaß, abends Blog oder digitales Tagebuch zu schreiben. Und ich hab auch Spaß daran, den digitalen Kram einfach in der Tasche zu lassen, wenn ich will. Dafür brauch ich aber keine hippen Buzzwords, sondern einfach nur meine derzeitige Laune ;))
    LG und danke für die klaren Worte.
    Iris

    1. WHAAAAAT??? Echt? Du wurdest dumm angemacht, weil Du Dich frei dazu entschieden hast, Dein Handy und Deine Kamera mitzunehmen? Das ist ja genaus so ein Mobbing, das ich mal bekam: In einem Haarforum wurde ich dumm angemacht, weil ich Silikone in meinem Shampoo hab -.-

      Mon dieu… wenn die Leute sonst nix zu tun haben :D :D :D

      Iris, wir machen alles richtig :)

      Liebe Grüße!

  4. Hey Corinna,

    es ist schon verrückt, welche Themen die heutige Zeit mit sich bringt. Aber hey, so haben wir wenigstens etwas zu schreiben ;0)

    Aber mal im Ernst. Dieser ganze Smombi-Wahn nimmt stellenweise schon echt bedenkliche Züge an und ich gehöre glücklicherweise zu der Sorte Mensch, die auch ohne Handy gut leben kann. Aber leider gibt es genug andere Menschlein da draußen, die das ganz anders sehen. So hat meine ehemalige Chefin tatsächlich mich und andere Kollegen ins Büro zitiert, weil wir nicht sofort auf WhatsApp-Nachrichten von ihr reagiert haben und unsere Arbeit am Mensch in dem Moment wichtiger war. Da habe ich mich echt gefragt, wie weit wir heute schon sind.

    Ich denke, dass das ganze Problem heutzutage ist, dass die wenigsten Menschen wissen, wie sie nach der Arbeit entspannen können und keinen gescheiten Ausgleich haben. Da wundert es natürlich nicht, dass sie erst mal jemand brauchen, der ihnen den „richtigen“ Weg zeigt. Und wenn es über solche „Digital Detox Wochenenden“ in der Natur ist.

    Und das fängt ja schon im Kleinen an. Welches Kind weiß denn heutzutage noch, wie man auf Bäume klettert, eine Bude im Wald baut oder Kartoffeln im Feuer gart? Sobald die Kids aus der Schule kommen, wird das Smartphone bemüht oder der Computer angeschaltet. Und viele Eltern unterbinden es nicht, weil sie nur froh sind, dass das Kind Ruhe gibt und sie nicht nervt. Ich sehe täglich, dass es nur noch wenige Eltern gibt, die den täglichen Medienkonsum überwachen und streng reglementieren. Die wenigsten Kids kommen heute noch mit purer Natur in Berührung, werden von ihren Eltern nach der Schule ins Freie gescheucht oder erleben am Wochenende gemeinsam mit den Eltern, wie schön die Natur sein kann. Viele Kids können sich kaum noch allein beschäftigen, weil sie ständig und ununterbrochen von den Medien berieselt und dadurch beschäftigt werden.

    Und da wundert es natürlich nicht mehr, dass es im späteren Alter verrückte „Erfindungen“ braucht, um die „Medien-Kids“ in die Natur und die Entspannung zu bekommen.

    Liebe Grüße
    Andarah

    1. Hey Andarah,

      ja stimmt – diese Altersgruppe hat es natürlich gerade nicht leicht bzw. zu leicht…
      Aber man muss den Kiddies doch einfach vermitteln, was wichtig ist und was nur „Herumdaddeln“ ist. Aber woher sollen sie es lernen, wenn es ihnen ihre Eltern nicht zeigen? seufz…

      Ja, vielleicht braucht es dann solche verrückten Camps, vielleicht können wir aber auch noch das schlimmste abwenden mit Jugendfreizeiten, Abenteuercamps & Co.
      Oder muss man jetzt snappen, warum ein Regenwurm n töften Kollegen ist? ;)

      Lieben Gruß,
      Corinna

      1. Hey Corinna,

        da gebe ich dir absolut Recht. Es liegt an den Eltern, den Kids zu vermitteln, was wichtig ist. Aber leider ist das für viele Eltern ja schon Arbeit.

        Und Jugendfreizeiten oder Abenteuercamps? Wo sich das Kind dreckig machen könnte? Um Gottes Willen … geht ja garnicht ;0)

        Da lob ich mir die Kinder, die von Natur aus enormen Wissensdrang und Freude an Bewegung und dann noch die passende Verwandtschaft haben, die sie zu Wanderungen mitschleppt. Auch wenn sich dadurch nicht immer vermeiden lässt, dass die Kids mit immer mehr Druck in Schule, Ausbildung und Beruf konfrontiert werden, dann aber keine Mechanismen zur Bewältigung dessen an die Hand bekommen.

        Liebe Grüße,
        Andarah

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